18.12.2025 - Der Stadtrat der Stadt Selb hat in seiner Sitzung am Mittwochabend einstimmig beschlossen, den bestehenden Kassenkreditrahmen für das Haushaltsjahr 2025 von bislang 7 Millionen Euro auf 8,5 Millionen Euro anzuheben. Hintergrund sind erhebliche kurzfristige Liquiditätsengpässe, ausgelöst durch den Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen, hohe Pflichtausgaben sowie massive Verzögerungen bei der Auszahlung zugesagter Fördermittel.
Kämmerer: „Zahlungsfähigkeit muss jederzeit gesichert sein“
Stadtkämmerer Christopher Lang stellte dem Gremium eingangs die Gründe für den Antrag der Verwaltung dar. Die Stadt Selb sehe sich im laufenden Haushaltsjahr mit starken Schwankungen im Zahlungsverkehr konfrontiert. Diese resultierten vor allem aus zeitlichen Verschiebungen beim Eingang laufender Einnahmen, während gleichzeitig zahlreiche Ausgaben fristgerecht zu leisten seien.
„Die Stadt ist verpflichtet, Personalaufwendungen, vertragliche Leistungsverpflichtungen, Umlagen sowie laufende Bewirtschaftungsausgaben ohne Aufschub zu bedienen“, erklärte Lang. Besonders belastend wirke sich derzeit aus, dass zugesagte Fördermittel für laufende Projekte entweder verspätet oder bislang gar nicht ausbezahlt würden. Die Stadt müsse jedoch in Vorleistung gehen, da Bau- und Investitionsmaßnahmen planmäßig umgesetzt würden.
Der bisher genehmigte Kassenkreditrahmen in Höhe von 7 Millionen Euro reiche unter diesen Bedingungen nicht mehr aus, um die jederzeitige Zahlungsfähigkeit sicherzustellen. Die beantragte Erhöhung auf 8,5 Millionen Euro diene ausschließlich der kurzfristigen Überbrückung von Liquiditätsunterdeckungen und stelle ausdrücklich keine Ausweitung konsumtiver Ausgaben dar.
„Sollte dieser Schritt nicht erfolgen, wäre die Stadt im Falle der vollständigen Ausschöpfung des bisherigen Rahmens nicht mehr in der Lage, Zahlungen auszuführen – selbst Gehaltszahlungen wären dann gefährdet“, machte der Kämmerer deutlich.
Dramatische Entwicklung seit Jahresbeginn
Auf Nachfrage aus dem Stadtrat legte Lang konkrete Zahlen zur aktuellen Liquiditätslage vor. Zu Beginn des Jahres 2025 habe die Stadt noch über liquide Mittel in Höhe von rund 5 Millionen Euro verfügt. Mit Stand der Vorwoche liege der Kontostand jedoch bereits bei rund minus 4,2 Millionen Euro.
„Der genehmigte Kassenkreditrahmen ist damit nahezu ausgeschöpft“, so Lang. Die Stadt befinde sich faktisch bereits in der Situation, Rechnungen nur noch eingeschränkt bedienen zu können.
Der aktuelle Zinssatz für den Kassenkredit liege bei etwa 2,9 Prozent und damit deutlich unter den Konditionen eines privaten Dispokredits. Gleichwohl entstünden Zinskosten, die vermeidbar wären, wenn Einnahmen und Auszahlungen zeitlich besser korrespondierten.
Als zentrale Belastungsfaktoren benannte der Kämmerer insbesondere die Kreisumlage sowie die Personalkosten. Monatlich müsse die Stadt Selb derzeit über eine Million Euro an den Landkreis abführen. Hinzu komme eine zusätzliche Nachzahlung infolge der beschlossenen Erhöhung der Kreisumlage in Höhe von insgesamt mehr als 800.000 Euro, die aktuell in Raten von rund 200.000 Euro pro Monat beglichen werde.
Auch die Personalausgaben stellten einen erheblichen Fixkostenblock dar. Monatlich lägen diese zwischen 800.000 und 900.000 Euro – Ausgaben, die kurzfristig weder reduziert noch ausgesetzt werden könnten.
Zudem stünden zum Jahresende regelmäßig weitere hohe Abschlagszahlungen an Firmen an, insbesondere im Zusammenhang mit laufenden Bauprojekten. Als Beispiel nannte Lang den Kindergarten Kappel, für den allein in einem Monat Zahlungen in Höhe von über 500.000 Euro an Bauunternehmen geleistet worden seien. Demgegenüber habe die Stadt im gesamten Jahr bislang lediglich rund 150.000 Euro an Fördermitteln für dieses Projekt erhalten.
Fördermittel: Versprochen, beantragt – und jahrelang ausstehend
Ein zentrales Thema der Debatte war die schleppende Auszahlung staatlicher Fördermittel. Aktuell habe die Stadt Selb Förderanträge in Höhe von nahezu 3 Millionen Euro offen. Auf diese Mittel warte man teilweise seit Jahren – bei gleichzeitigem Zwang zur vollständigen Vorfinanzierung der Maßnahmen.
Oberbürgermeister Ulrich Pötzsch und Kämmerer Lang führten hierzu das Beispiel des Kindergartens Erkersreuth an. Die Gesamtkosten des Projekts beliefen sich laut Verwendungsnachweis vom Februar 2021 auf rund 3,1 Millionen Euro. Erst fast vier Jahre später habe die Stadt den abschließenden Förderbescheid erhalten und in diesem Jahr noch einmal rund 398.000 Euro ausgezahlt bekommen.
„In der Praxis sprechen wir nicht von Vorfinanzierungen über ein oder zwei Jahre, sondern häufig von Zeiträumen von zwei bis vier Jahren“, so Lang. Diese Situation stelle viele Kommunen vor massive Liquiditätsprobleme – insbesondere in Zeiten schwacher Einnahmen.
Kritik, Mahnungen und politische Einordnung
In der Diskussion wurden neben der akuten Notwendigkeit der Maßnahme auch grundsätzliche politische Fragen aufgeworfen. CSU-Stadtrat Carsten Hentschel bezeichnete die Erhöhung des Kassenkreditrahmens als ein problematisches Signal. Ein Kassenkredit sei mit einem Dispositionskredit vergleichbar und könne keine dauerhafte Lösung darstellen. Angesichts des Einbruchs bei der Gewerbesteuer forderte er, alle bestehenden Sparpotenziale offen zu legen und konsequent umzusetzen. Gerade mit Blick auf die anstehenden Haushaltsberatungen 2026 und mögliche Stabilisierungshilfen sei es notwendig, eigene Handlungsspielräume vollständig auszuschöpfen und beschlossene Maßnahmen zügig umzusetzen.
Deutlich widersprach Dr. Klaus von Stetten (Aktive Bürger Selb) einer verkürzten Schuldzuweisung an Stadtverwaltung oder Stadtrat. Die Ursachen der angespannten Finanzlage lägen nicht auf kommunaler Ebene, sondern in strukturellen Faktoren wie der hohen Kreisumlage, dem konjunkturell bedingten Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen sowie der jahrelangen Vorfinanzierung staatlich zugesagter Förderprogramme. Die Kommunen müssten Pflichtaufgaben erfüllen, ohne dass die dafür vorgesehenen Mittel zeitnah zur Verfügung gestellt würden. Von Stetten sprach in diesem Zusammenhang von einer systematischen Überforderung der Städte und Gemeinden. Wer vor diesem Hintergrund Einsparungen fordere, müsse auch klar benennen, wo konkret gekürzt werden solle – etwa bei freiwilligen Leistungen, kulturellen Angeboten, Sport- und Vereinsförderung oder sozialen Einrichtungen. Dies sei keine theoretische Debatte, sondern eine politische Entscheidung mit spürbaren Folgen für das gesellschaftliche Leben vor Ort. Pauschale Sparappelle oder Schuldzuweisungen an die Verwaltung griffen aus seiner Sicht zu kurz und würden der strukturellen Dimension der kommunalen Finanzprobleme nicht gerecht.
SPD-Stadtrat Walter Wejmelka mahnte zu einer differenzierten Betrachtung insbesondere der Kreisumlage. Diese sei zwar eine erhebliche Belastung für den städtischen Haushalt, finanziere jedoch zugleich zentrale Infrastrukturen vor Ort, darunter den Schulstandort mit Gymnasium und Realschule, Sporthallen sowie weitere Einrichtungen, von denen die Stadt Selb unmittelbar profitiere. Darüber hinaus rückte Wejmelka die Problematik der langwierigen Fördermittelverfahren in den Fokus. Er forderte mehr Transparenz darüber, bei welchen Projekten die Stadt bereits vollständig in Vorleistung gegangen sei und wie lange sie dort teilweise schon auf die endgültige Auszahlung zugesagter Mittel warten müsse.
Oberbürgermeister Ulrich Pötzsch ordnete die Situation in einen größeren Zusammenhang ein. Zwar habe die Stadt Selb in den vergangenen Jahren ihre Hausaufgaben gemacht und den Schuldenstand von über 40 Millionen Euro auf aktuell rund 13,5 Millionen Euro reduziert. Doch selbst solide wirtschaftende Kommunen gerieten zunehmend unter Druck.
„Das Finanzierungssystem in Deutschland, insbesondere im Bereich der öffentlichen Haushalte, funktioniert nicht mehr“, so Pötzsch. Aufgaben würden von Bund und Land immer weiter nach unten durchgereicht, während die Kommunen am Ende der Kette stünden und die Kosten zu tragen hätten.
Er verwies auf aktuelle Berichte aus Großstädten wie Stuttgart, die vor massiven finanziellen Problemen stünden. Ursachen seien unter anderem steigende Pflichtausgaben, unsichere wirtschaftliche Rahmenbedingungen und eine Investitionszurückhaltung der Unternehmen.
Zustimmung der Aufsichtsbehörden – aber nur befristet
Die beantragte Erhöhung des Kassenkreditrahmens ist mit dem Landratsamt Wunsiedel sowie der Regierung von Oberfranken abgestimmt. Nach Angaben der Verwaltung liegt eine grundsätzliche Zustimmung der Aufsichtsbehörden vor, allerdings zunächst befristet bis Ende Februar 2026. Gleichzeitig sei die Stadt aufgefordert worden, das Liquiditätsproblem kontinuierlich zu analysieren und Lösungen zur Rückführung des Kassenkredits zu erarbeiten.
Kämmerer Lang machte deutlich, dass selbst der erhöhte Rahmen von 8,5 Millionen Euro bei unveränderter Einnahmensituation möglicherweise nicht ausreichen werde. „Wenn sich auf der Einnahmeseite keine deutliche Verbesserung abzeichnet, wird sich der Stadtrat in den kommenden Wochen und Monaten erneut mit diesem Thema befassen müssen“, so Lang.
Trotz kritischer Anmerkungen, politischer Grundsatzdebatten und der einhelligen Einschätzung, dass es sich um keine nachhaltige Lösung handelt, stimmte der Stadtrat dem Antrag der Verwaltung letztlich einstimmig zu. Der bestehende Kassenkreditrahmen wird damit von 7 Millionen Euro auf 8,5 Millionen Euro erhöht. Gleichzeitig wurde die Verwaltung beauftragt, die erforderliche Einzelkreditermächtigung bei der zuständigen Aufsichtsbehörde zu beantragen.
Die Sitzung machte deutlich: Die finanzielle Lage der Stadt Selb ist angespannt, die Ursachen liegen jedoch weit über die kommunale Ebene hinaus. Die Erhöhung des Kassenkredits ist ein notwendiger Schritt zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit. zugleich aber ein weiteres Warnsignal für die strukturellen Probleme der Kommunalfinanzen.
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