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haus schlosstrasse selb 622.10.2020 – Döj Gschicht wollde eingle af Söllwerisch schreim. Ower waal fast kojner möjer an Söllwer Dialekt vastajd, schreiwes halt af haouchdeidsch: Vor meiner Geburt standen auf dem Grund neben dem Selbbach schon mehrere Gebäude im alten Selb. Wer die jeweiligen Besitzer waren, weiß ich nicht. Ich selbst bin, wenn meine Geburtsurkunde stimmt, im Jahre 1804 erbaut.

Und weil es zu dieser Zeit in unserer Heimatstadt noch keine Straßennamen gegeben hat, wurde ich auf die Hausnummer 160 getauft. Mein Geburtsjahr ist im Türstock des Anwesens Schlossstraße Nr. 1 verewigt. Im Laufe der Jahre haben sich in meinen Mauern Glück und Unglück, Lebenslust und Unlust, Freude und Trauer ein Stelldichein gegeben. Ich habe das alles hingenommen, was blieb mir auch anderes übrig.

haus schlosstrasse selb 5Am 18.03.1856 wehte in Selb ein starker Wind. Kurz vor dreizehn Uhr ertönte in der unteren Ludwigstraße plötzlich der Ruf: „Feuer“! und schon kam aus Richtung der Alten Apotheke Rauch auf mich zu und über den Häusern waren Flammen zu sehen. Unsere mit Schindeln bedeckten Dächer brannten in kürzester Zeit lichterloh. Auch mein Schicksal war besiegelt, und ich wurde wie alle anderen ein Raub der Flammen. Bei dieser Brandkatastrophe wurden 221 Häuser und 408 Nebengebäude vernichtet.

Aber, ich wurde nach dem Brand als Geschäftshaus wieder aufgebaut. Dazu wurden auch rußgeschwärzte Natursteine verwendet, die man heute noch im Mauerwerk sehen kann. Auf der linken Seite des Hauses befand sich der Hauseingang, in der Mitte baute man eine Türe zu einem Laden ein, links und rechts davon Schaufenster.

haus schlosstrasse selb 1Gehört habe ich zu dieser Zeit dem Kaufmann Lorenz Geyer. Wofür ich in diesen Jahren genutzt wurde kann ich heute gar nicht mehr sagen, es ist halt auch schon recht lange her. Ich glaube, dass der Besitzer im Untergeschoß ein Ladengeschäft hatte und im Obergeschoß gewohnt hat. Was verkauft wurde weiß ich heute auch nicht mehr.

In den 1930er Jahren betrieb der Konditormeister Heinrich Schläger mit seiner Frau, einer geborenen Martin, eine Konditorei mit einem Süßwarenladen, gewohnt haben sie im ersten Stock. Schläger starb aber schon mit knappen 40 Jahren und hinterließ eine noch junge Witwe.

haus schlosstrasse selb 6Nach einiger Zeit hat Frau Schläger den Kaffeevertreter Maier geheiratet, einen Schwaben. Er hat sich, um die Konditorei weiterführen zu können, zum Konditor umschulen lassen. Offensichtlich ist aus ihm ein sehr guter Konditor geworden, denn er buk hervorragende Torten. Besonders beliebt waren seine Marzipankartoffel. Der Laden behielt seinen Namen „Konditorei Schläger“ bis zur Geschäftsaufgabe.

In einer Nische befand sich im Laden ein kleiner Tisch mit vier Sitzplätzen. Dort hat man sehr oft den Künstler und Fachschullehrer Otto Keitel, die bekannte Selberin Liselotte Heinrich und den Ende Mik antreffen können.

Im Eingang zum Laden stand bei schönem Wetter stets Frau Maier mit blütenweißer Schürze, blauschwarz gefärbtem Haar mit großer Rolle und wartete auf Kundschaft.

Im Laufe der Zeit wurde die Hausfront zur Schlossstraße hin umgebaut. So blieb links der Hauseingang, die Tür zum Laden wurde auf der rechten Seite eingebaut. Ich kann heute nicht mehr sagen, wer diese Umbauten veranlasst hat – „es is ja a scho a baar Gouer her“. Später wurde noch einmal Hand an meine Front gelegt, der rechte Zugang verschwand; die Türe zum Laden befand sich jetzt rechts neben dem Hauptzugang zum Haus. Na ja, auch damit konnte ich leben.

Erinnern kann ich mich, dass ich einmal der Christl Krippner gehörte, sie wurde die „Stuoagfiesch-Christl“ genannt. Sie muss etwas mit Fischen zu tun gehabt haben, weil hinten im Haus ein großer Fischbottich war, dessen Ablauf direkt in den Selbbach geführt hat. Wahrscheinlich hatte sie ein gutes Rezept zum Stockfischwässern und sich damit ihren Spitznamen verdient.

Nach dem Tod der Stuoagfiesch-Christl hat das Haus ein Verwandter geerbt, der es an jeden verkaufen durfte, „nur nicht an den Lichtspielhaus-Vogel“, so war es im Testament festgelegt. Ja, was es da wohl einmal gegeben hatte zwischen den beiden.

Erworben hat es dann der Metzgermeister Hermann Voit.

haus schlosstrasse selb 4Im Jahre 1969 kam ich wieder in andere Hände, nämlich in die von Frieda Heindl. Sie hatte am Martin-Luther-Platz das Geschäft „Farben-Bauer“ geführt und nachdem dieses Haus verkauft worden war, musste sie sich mit ihrem Geschäft eine andere Bleibe suchen. Sie kaufte mich und ließ das Erdgeschoss total umbauen. Am 03.10.1969 eröffnet sie dann ihr Geschäft in dem neuen Laden. Später übernahmen ihre Tochter Annemarie und deren Mann Herbert Kastl das Geschäft. Irgendwann einmal hat man die Türe zum hinteren Teil, der als Lager genutzt wurde, verbreitert und dabei ist ein Teil der Decke eingestürzt. Na ja, der Mörtel für das nach dem Brand 1856 gemauerten Deckengewölbe war halt auch nicht der Beste.

Im Dezember 2016 wurde ich wieder verkauft, und da hatte ich ein riesen Glück. Ich kam in die Hände von Susanne und Hellmuth Groß und Gott sei Dank nicht in die eines Investors oder Spekulanten. Meine neuen Eigentümer wollen Altes erhalten, mein Innenleben möglichst wieder so herstellen, wie es einmal war und mein Äußeres nur in vertretbarem Rahmen verändern. Sehr oft höre ich, wie sich Susanne mit dem Statiker oder mit Handwerkern „ogatzt“, weil die unbedingt etwas Altes gegen etwas Neues austauschen oder etwas verändern wollen. Aber sie gibt nicht nach und hat immer im Blick: „Das Ursprüngliche muss erhalten bleiben“. Und wenn einmal die geplanten Appartements und Wohnungen fertig sein werden und vieles von meiner Innerei geblieben ist wie es einmal war, werde ich zufrieden aufatmen und einer hoffentlich langen und glücklichen Zeit entgegensehen können.

haus schlosstrasse selb 3selb-live.de – Gerhard Bock